
neue nationale Studie Befragung zur psychischen Gesundheit und Resilienz von Berufslernenden

Lernendenbefragung zeigt: Die Berufslehre fördert die psychische Gesundheit stark, Belastungen müssen noch besser abgeholt werden
Ende 2024 sind rund 45’000 Lernende in der Schweiz dazu befragt worden, wie es ihnen in der Lehre geht, wie sie Herausforderungen und Belastungen bewältigen und was ihnen hilft, sich positiv zu entwickeln. Die Ergebnisse zeigen: Über 80 Prozent der Lernenden geht es in der Ausbildung insgesamt gut oder sogar sehr gut. Gleichzeitig erleben 61 Prozent der Befragten psychische Probleme, rund die Hälfte dieser Fälle sollte aktiver angegangen werden.
Die Berufslehre hat in der Schweiz traditionell einen hohen Stellenwert und ist die häufigste Erstausbildung: Aktuell sind rund 210’000 Junge in einer Lehre. Die Lehre findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem Jugendliche vor wichtigen Entwicklungsschritten stehen. Sie ist mit Veränderungen und Herausforderungen verbunden, zum Beispiel mit der Arbeit in einem Team oder der Übernahme von mehr Verantwortung. Die psychische Gesundheit und Resilienz der Lernenden wie auch die Unterstützung in der Lehre sind deshalb von grosser Bedeutung. Wie wichtig dies ist, zeigt sich auch an der stetigen Zunahme der 18 bis 24-Jährigen, die wegen psychischer Probleme eine IV-Rente beziehen. Die Lehre kann belasten, aber sie kann auch eine Chance sein für einen erfolgreichen Start ins Arbeitsleben. Entwickelt und durchgeführt wurde die Befragung von WorkMed, Zentrum Arbeit und psychische Gesundheit, mit Unterstützung von Lernenden und in Kooperation mit den Akteuren in der Berufsbildung, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Befragungsfirma Valuequest. 44’669 verwertbare Rückmeldungen sind eingeflossen. Die Resultate sind repräsentativ für die Lernenden in der dualen Berufsbildung in der Schweiz.
Hohe Zufriedenheit mit der Lehre, starkes persönliches Wachstum
Die meisten Lernenden sind mit viel Vorfreude, aber auch mit Sorgen in die Lehre gestartet: Gefreut haben sich jeweils mehr als 80 Prozent der Lernenden darauf, Geld zu verdienen, einer interessanten Arbeit nachgehen zu können, Selbständigkeit und Selbstverantwortung zu haben, etwas Sinnvolles zu tun und in ihrem Beruf kompetent zu werden. Sorgen machten sich jeweils rund 60 Prozent mehrheitlich wegen möglicher Überforderung, langer Arbeitszeiten und weniger Ferien oder dass man kein Verständnis für ihre persönlichen Schwierigkeiten haben könnte. Knapp ein Fünftel der Lernenden hat sich nicht auf die Lehre gefreut.
Jeweils 80 bis 90 Prozent der Lernenden berichten, dass es ihnen in der Lehre eher bis sehr gut geht, dass sie die Lehre spannend finden und stolz darauf sind, im Lehrbetrieb zu arbeiten. Weiter erleben rund 80 Prozent im Lehrbetrieb und in der Berufsschule ein Klima von Respekt, Freundlichkeit, vorgelebter Disziplin, Förderung, offener Fehlerkultur sowie Kommunikation auf Augenhöhe. 80 bis 90 Prozent der Lernenden sind zudem der Meinung, dass ihre Berufsbildenden und Klassenlehrpersonen sie ernst nehmen, sich Zeit für sie nehmen und sich für sie engagieren. Durchgehend etwas seltener (in 60 bis 75 Prozent der Fälle) erleben sie, dass man sich dafür interessiert, wie es ihnen geht oder Probleme offen anspricht. 56 Prozent würden ihren Lehrbetrieb weiterempfehlen, 33 Prozent teilweise und 11 Prozent nicht. Auch hier sind die Beziehungen im Arbeitsteam, eine angenehme Arbeitsatmosphäre und unterstützende Berufsbildende entscheidend – neben der Ausbildungsqualität. «Dieses erfreuliche Resultat zeigt, dass die duale Berufsbildung nach wie vor sehr gut funktioniert. Gewisse Betriebe müssen noch besser unterstützt werden – hier sind auch die Branchen gefordert», sagt Nicole Meier vom Schweizerischen Arbeitgeberverband.
Viele Lernende erleben ein starkes persönliches Wachstum, seit sie in der Lehre sind: Rund 90 Prozent der Lernenden sind verantwortungsbewusster und erleben, dass sie kompetenter werden. Sie sind stolz darauf, diesen Beruf zu lernen, trauen sich immer mehr zu, können leichter mit anderen im Kontakt sein, sind fleissiger und neugieriger als vor der Lehre und können Fehler besser zugeben. Zwei Drittel haben weniger Absenzen als in der Schulzeit. 47 Prozent berichten über mehr Motivation, am Morgen aufzustehen. Und mehr als 80 Prozent erleben Sinnhaftigkeit durch ihre Arbeitstätigkeit. «Die Berufslehre ist für viele Jugendliche eine echte Chance in einer Lebensphase, in der viele Kompetenzen für das spätere Berufsleben aufgebaut werden», ist Christophe Nydegger, Präsident der Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) überzeugt.
Die Hälfte der Lernenden hat sich schon überlegt, die Lehre abzubrechen. Aber sie haben es nicht getan – in 80 Prozent der Fälle, weil sie nicht aufgeben wollten. 90 Prozent der Lernenden denken, dass sie mit Herausforderungen in der Lehre gut umgehen können und drei Viertel zeigen eine mittlere bis hohe Selbstwirksamkeit. «Das Bild der nicht resilienten Lernenden sollte korrigiert werden», findet Barbara Schmocker, Hauptautorin und Psychologin bei WorkMed.
Psychische Probleme sind häufig, die Lehre ist oft eine Chance
Gleichzeitig erleben 61 Prozent der Lernenden in der Lehre «psychische Probleme» im weitesten Sinn (von negativen Gedanken und Gefühlen bis hin zu psychischen Krisen und Krankheiten). Auch Symptome (nicht Diagnosen) von Depressionen, Angststörungen oder ADHS sind häufig. Die Hälfte dieser Lernenden wird durch die Probleme in der Lehre eingeschränkt. Diese werden etwa zu gleichen Teilen mitausgelöst durch private Belastungen (Familie, Freunde etc.) und Belastungen in der Lehre (Betrieb, Berufsschule). Trotz Problemen: Beratungsangebote an den Schulen oder in den Betrieben werden nicht genutzt. Für Rolf Häner, Vizepräsident der Table Ronde Berufsbildender Schulen ist klar: «Wir müssen unsere Beratungsangebote stärken, damit sie für die Lernenden mit psychischen Problemen noch zugänglicher werden». Das sieht Jackie Vorpe von Travail.Suisse ähnlich: «Die Lehre kann belastend sein – eine bessere Berücksichtigung der psychischen Belastung aller Jugendlichen trägt dazu bei, ihren Erfolg zu stärken.»
Allerdings hatten viele Lernende schon vor der Lehre psychische Probleme, oft schon in der Primarschule. Die Vorgeschichte sagt psychische Probleme in der Lehre denn auch mit Abstand am besten voraus. Es konnten anhand der Vorgeschichte 6 «Typen» von Lernenden identifiziert werden. Vier Typen bringen psychische, familiäre und schulische Probleme in die Lehre. Viele von ihnen machen in der Lehre eine deutliche Entwicklung. Die psychische Vorgeschichte sagt denn auch kaum voraus, ob Lernende eine gute Leistung in der Lehre bringen oder ob sie starke Entwicklungen in der Lehre machen. Wichtiger sind diesbezüglich die Resilienz der Lernenden und eine gute Unterstützung in der Lehre.
Fazit
Psychische Probleme bei Lernenden müssen vermehrt ernstgenommen, sollten aber nicht dramatisiert werden. Die meisten Lernenden haben psychische Probleme und wachsen in der Lehre, wenn man sie ernstnimmt. «Psychische Gesundheit misst sich nicht nur am Fehlen von Symptomen, sondern genauso an Berufsstolz, Motivation und erlebter Sinnhaftigkeit», schlussfolgert Barbara Schmocker. Aber bei rund 25 bis 30 Prozent der Lernenden ist von Problemen auszugehen, die aktiver angegangen werden sollten. Hier braucht es weitere Anstrengungen aller Akteure in der Berufsbildung.
Die Realisierung dieser Studie wurde durch eine finanzielle Förderung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), der Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH), der Stiftung ALU, der Stiftung für Hilfe-Leistungen an Arbeitnehmende und der Stiftung Artisana ermöglicht.
wollen Sie mehr wissen, dann finden Sie im Link unter Studien & Analysen den ganzen Forschungsbericht (d/f) und Zusammenfassungen (d/f/i)
Kontakte
Barbara Schmocker (Hauptautorin)
Fachliche Leitung Bereich Ausbildung
Telefon 061 685 15 35
barbara.schmocker@workmed.ch
Niklas Baer (Projektleiter)
Fachlicher Leiter, Mitglied GL
Telefon 061 685 15 01